Grenzsteintrophy 2021

Tja, die Teilnahme an der GST war schon lange auf meiner Wunschliste. Aber so lange hatte ich auch Zweifel, ob ich das überhaupt schaffen würde. Die Familienfreigabe lag vor und so habe ich mich am 16.06. auf den Weg gemacht.

Ich bin mit dem Zug in Richtung Start gefahren, wollte aber nicht an dem gemeinsamen Vorabend in Papstleithen teilnehmen. War selber aufgeregt genug, dann mit 25 anderen aufgeregten Startern den Abend verbringen? Hatte ne Pension in Adorf (Vogtland) gebucht, dort war ich der einzige Nicht-Handwerker. Alle anderen Gäste waren Handwerker aus allen Ländern Osteuropas, die Rezeption war auch entsprechend besetzt. Die Verständigung war schwierig…. Dank Einzelhandelserfahrung irgendwann in meinem Leben konnte ich mir den Zimmerpreis eigenständig vom Konto buchen…. Die Nacht war unruhig, das Hotel war sehr hellhörig und auf dem Flur herrschte bis kurz nach Mitternacht reger Betrieb.

Am Berliner Hauptbahnhof

17.06.2021

Foto: Gunnar Fehlau

Um 08:00 Uhr sollte am Dreiländereck im Vogtland der Start erfolgen, inkl. Fotosession für die Veranstaltungswebseite. Ich bin in Ruhe zum Start geradelt, war vor Ort zunächst allein. Die anderen Teilnehmer trudelten ein, es wurde mit 31 Leuten dort relativ voll. Das Startprozedere und die ganze Dokumentation dauerte eine ganze Weile und so es gab Gelegenheit, die anderen Räder und Ausrüstungen zu studieren. Andererseits: zu ändern wäre in dem Moment eh nichts mehr gewesen. Dann geht es endlich los, nach wenigen hundert Metern landen wir schon auf der Platte. Bereits nach sechs Kilometern gab es das erste Schild, das auf einen geschleiften Bauernhof hinwies. Dem viele ähnliche folgen sollten….. Kaum einen Kilometer weiter gab es den ersten Verletzten, der Teilnehmer ist von der Platte abgekommen und hatte mit einem Schlüsselbeinbruch auch schon die GST beendet. Noch war das Feld eng beieinander, die Versorgung und Rettungskette waren kein Problem. Aber durch die beiden Dinge hatte ich zunächst nen Kloß im Hals.

Ich versuche erstmal nen Rhythmus zu finden, mein eigenes Tempo zu fahren und gedanklich auch auf der Platte anzukommen. Die Sonne brennt, 35°C und das Wasser verschwindet zügig aus den Trinkflaschen… In Blankenstein beim Supermarkt werden die Vorräte aufgefüllt und es gibt ein kleines Treffen mit anderen GST-Fahrern. Kurz danach gibt es die ersten steilen Schieberampen, für die die GST bekannt ist… An der Getränkehöhle nach ca. 75 Kilometern beenden die GST-Veteranen Gunnar und Markus den Fahrradtag. Da hätte ich als Flachländer schon mal stutzig werden sollen… Danach gingen die „Rollercoaster“ mit den Schiebeabschnitten auf der Platte so richtig los und dadurch war das Kilometersammeln nicht mehr ganz so einfach. Abends sitzt eine kleine Gruppe an einer Schutzhütte auf dem Rennsteig, etwa bei Kilometer 90… Die anderen drei ziehen weiter, ich bin noch unentschlossen, trödele vor mich hin und entscheide mich dann, doch den Tag hier zu beenden und spanne die Hängematte auf.

Übernachtung auf dem Rennsteig an der Schutzhütte Kurfürstenstein

18.06.2021

Am folgenden Morgen trampelt morgens um 04:00 Uhr ein Wanderer vorbei. Erst frage ich mich, ob der kein Zuhause hat, andererseits wird der vor der angedrohten Tageshitze auch ein paar Kilometer absolvieren wollen. In Probstzella fülle ich die Vorräte wieder auf, vorher ging es auf der Platte durch eine „Weihnachtsbaumplantage“ und durchs Schieferabbaugebiet bei Lehsten. Für mich entwickelt sich eine gewisse GST-Routine: fahren, schieben, schwitzen, essen, Schilder an der ehemaligen Grenze studieren und ab und an ein gemeinsames Rollen mit anderen Fahrern… Im Laufe des Tages habe ich den ersten Platten, ein Dorn hat den Weg in den Reifen und Schlauch gefunden…. Wenig später verliere ich das Telefon, wer auf der Platte sein Kram nicht befestigt und die Taschen offen lässt, der wird den Kram verlieren. Das geht auch anderen Leuten auf der Platte so…. Ich verliere damit auch die Möglichkeit, unterwegs Fotos zu machen. Die Navigation läuft ja ohnehin auf einem Garmin-Gerät, das Ding hat jetzt kein Backup mehr. Nach einem „soliden Abendessen“ bei einem bekannten Burger-Filialbetrieb schiebe ich noch den Berg zum Generalsblick hoch und spanne wieder die Hängematte auf. Die Grenztruppen der NVA haben hier den Aufwand betrieben, einen extra Aussichtspunkt anzulegen, um befreundeten Militärs vom Warschauer Pakt stolz die Grenzsicherungssysteme zu zeigen.

Foto: Gunnar Fehlau

19.06.2021

Am Morgen habe ich nen Schleicher am Vorderrad, schon da steht der Entschluss fest, das ich nach der GST das mit dem Tubeless nochmal ausprobieren werde. Ein Tag gefüllt mit GST-Routine, erst am Nachmittag ergeben sich kleine Geschichten. In Poppenhausen halten Frank und ich an einem Vereinsheim und fragen nach, ob wir unsere leeren Flaschen füllen können. Vorm Vereinsheim sitzt ne Männerrunde, die auf einem großen Bildschirm irgendein EM-Spiel verfolgen wollen. Wir werden kaum beachtet und sind eher Störfaktoren, die Runde konzentriert sich auf das Fußballspiel und kommentiert jede Aktion der Spieler sehr „fachkundig“. Für mich fühlt sich das ganz weit weg an. Ein paar hundert Meter weiter gibt es im Ort einen alten und rostigen Imbisswagen, ein Rentner will hier in der „Metropole“ nochmal neu durchstarten und hat an dem Tag seinen Start in die Selbständigkeit. Wir sind gegen 18:00 Uhr die ersten richtigen Kunden. Den Optimismus finde ich schon faszinierend. Wir sind bald zu viert, Kai und Holger essen auch noch was. Die Frage nach einem Nachtquartier führt nur zu Verwirrungen auf beiden Seiten, der Einheimische beschreibt seine Hinweise mit „rechts, dann links und über den Berg“… Damit wird das nix! Wir kehren auf die Strecke zurück, teilen uns aber wieder in zwei Zweiergruppen…. Kai und Volker fahren auf der Platte weiter. Frank und ich folgen dem POI-Hinweis auf meinen Garmin, verlassen den Track, hinter der Landesgrenze soll es einen Jugendcampingplatz in Dürrenried geben. Der Platz ist komplett leer, wird wohl immer nur auf Anmeldung genutzt. Das mit der Anmeldung kriegen wir nicht mehr hin, bleiben aber trotzdem und geniessen den Platz für uns. Es gibt fließend kaltes Wasser, wir freuen uns nach dem heißen Tag auf der Platte riesig auf ne große Wäsche für uns und unsere Klamotten. Frank baut sein Zelt auf der großen Wiese auf, ich spanne die Hängematte unter einem Vordach von einem Gebäude auf.

Jugendzeltplatz Dürrenried, Foto: Frank Seidel

20.06.2021

Wir verlassen Dürrenried, am Bayerturm trennen wir uns auf der Strecke und kommen jeder für sich weiter voran. Am Vormittag hänge ich durch, habe mich selbst in den Hungerast geradelt. Ich rolle mit einstelligen Kilometeranzeigen pro Stunde durch relativ flache Gegenden. Liege ne Stunde im Schatten und quäle mich dabei, eine Packung Studentenfutter zu essen. Ein paar Kilometer weiter gibt es an einem Campingplatz zwei Stück Kuchen, dann geht es mir viel besser. Am Abend treffen wir wieder aufeinander. Da die Wettervorhersage viel Regen und Gewitter im Angebot hat, suchen wir ein Hotel und werden in Weimarschmieden fündig. Das Lokal bzw. Inhaberin und Personal haben für uns einen gewissen Unterhaltungswert, die sehr verlebt wirkende Inhaberin hält sich für unwiderstehlich… Und wir sehen ja eigentlich wie Landstreicher aus und riechen auch so… Egal, wir schlagen uns den Bauch voll, duschen und wettern das Gewitter in der Nacht in richtigen Betten ab.

Normalität auf der GST. Foto: Frank Seidel

21.06.2021

Nach dem Frühstück brechen wir getrennt auf, ich möchte wieder alleine und in meinem Tempo fahren. Dort Pause machen und nen Snickers essen, wo ich möchte, ohne für jemand anders ein Hindernis zu sein. Nach einer ausführlichen Schiebepassage durch Brennnesseln erreiche ich am Vormittag Frankenheim (Rhön). In dem Ort soll es eine „Kaufhalle“ geben… Der Name ist Programm, der kleine Laden erinnert mich sehr an die Kaufhalle in meinen Heimatdorf kurz nach der Wende. Hier scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. DDR-Regale, eine sehr alt wirkende Kasse und ein überschaubares Warenangebot. Bezahlt habe ich aber bar und mit Euros! Ansonsten ist das der „Tag der Kuhweiden“, mit allen Konsequenzen: viele Weidezäune sind zu öffnen/zu schließen und gefühlt findet sich bald überall am Rad und leider auch an meiner Trinkflasche die Kuhscheiße. Zwischendurch lässt man es bergab ganz langsam angehen, nur damit die Kuhscheiße nicht direkt vom Reifen ins Gesicht fliegt…Die Strecke richtet sich jetzt regelmässiger nach Norden bzw. Richtung Ostsee, die kleinen „Taschen“ oder Bögen im Grenzverlauf liegen nun hinter mir. Mir geht aber auch das Gefühl verloren, wo ich mich eigentlich befinde. Der kleine Bildschirm vom Garmin bietet halt wenig Anhaltspunkte, ich folge der lila Linie und lassen den Blick in die Rhön schweifen. Am Nachmittag tauchen Wegweiser mit Kilometerangaben zum Point Alpha auf. Gegen 17:00 Uhr komme ich am Point Alpha an, das Museum hat Montags Ruhetag. Ich fahre runter vom Track, Vorräte kaufen in Geisa. Am REWE treffe ich Frank wieder, wir haben wohl ein sehr ähnliches Tempo… Wie Landstreicher essen wir dann unsere Kartoffelsalate und Bäckereinkäufe in einem Park von Geisa, bevor es wieder zurück auf den Track geht. Vom „Blauen Haus auf der Grenze“ fahren wir bis zum Point Alpha, treffen unterwegs auf Ulrich, der schon weiter gefahren war und nun doch zurück zum REWE fährt. Direkt am Point Alpha übernachten dann fünf GSTler: Benno, Christian, Ulrich, Frank und ich. Historischer Boden, heute ganz problemlos erreichbar und nur die Hinweistafeln erinnern an die Anspannung vor Ort.

22.06.2021

Ich schaue wieder, dass ich mein eigenes Tempo fahren kann, obwohl wir fünf GSTler etwa zeitgleich Point Alpha verlassen. In Vacha schlage ich mir mit drei großen Stück Kuchen hemmungslos den Bauch voll und andere Lebensmittel/Wasser wandern in die Taschen. Die „Rache“ folgt direkt nach Vacha, der Scout fand es total sinnvoll, ein paar Treppen einzubauen. Wer also wissen will, warum man manchmal vier Stunden für 30 Kilometer braucht und das total in Ordnung findet, der wird das an solchen Stellen nachvollziehen können. Ich wuchte das Rad und mich die Treppen hoch und irgendwann rollt es wieder. In Herleshausen will ich mir eigentlich ein Hotel nehmen, aber beide Hotels haben Ruhetag und sind geschlossen. Mir bleibt nichts weiter übrig, als weiter zu fahren, etwas lustlos treibe ich auf dem Track weiter. Regen setzt ein, irgendwann sitze ich zusammen mit Kai und Frank in einem Hochstand direkt am Kolonnenweg und wir warten dort den Abzug der Regenfront ab. Als wir wieder aufbrechen, ist es schon etwas fortgeschritten am Abend, wir wollen Point India zur Übernachtung nutzen. Dort steht ein ähnlicher Beton-Beobachtungsturm wie bei Point Alpha, den die US-Truppen genutzt haben. Kai und Frank schlafen oben auf dem Turm, ich spanne unten zwischen den Betonsäulen des Turms meine Hängematte auf. Noch während Kai an seinem Rad die Sachen sortiert, fallen mir zwei Metern entfernt die Augen zu…

Kai, Frank und ich warten den Regenschauer ab. Foto: Frank Seidel

23.06.2021

Kai und Frank fahren zusammen weiter, ich separiere mich wieder. Der Tag verläuft zäh, ich mache viele Pausen. Hadere mit mir, wie weit ich fahren will. Im Grenzmuseum Schifflersgrund nutze ich die letzte halbe Stunde der Öffnungszeit für einen kurzen Besuch. Dann lande ich im Werratal und am Ende vom Werratal steht das steilste Stück der GST auf dem Streckenplan. Dafür fehlt mir an diesem Tag die Motivation, ich biege vom Track nach Bad Sooden-Allendorf ab. Erst gibt es leckere Pizza für mich, dann beziehe ich ein Hotelzimmer und am späten Abend rufe ich vom Münztelefon auf dem Markt meine Familie an.

24.06.2021

Der Hotelier bereitet mir ein üppiges Frühstück, beim Abrechnen kommen wir kurz ins Quatschen: er hatte vor ein paar Jahren wohl schon GSTler zu Gast und warnt mich mit einem senkrechten linken Unterarm „…da geht es so steil hoch…“ Naja, erstmal geht es entspannt auf Radwegen lang, aber der Steilhang ist ja schon lange sichtbar. Mit Gleichmut schiebe ich den Berg hoch, beobachte die Mücken. Die fliegen wie kleine Transporthubschrauber mit rotem Hinterleib (mein Blut) wieder ins Gebüsch. Irgendwann ist auch der Wahnsinn geschafft, oben gibt es wieder einen Aussichtspunkt, dessen Ursprung für den Besuch des nordkoreanischen Verteidigungsministers angelegt wurde. Warum waren die eigentlich so verdammt stolz auf diese Grenze? Der Tag verläuft ansonsten wie ein „normaler GST-Tag“. Am Nachmittag nehme ich mir die Zeit für ein Besuch im Grenzmuseum Eichsfeld. Ein paar Kilometer vor dem Harz ist der Kolonnenweg komplett mit dornigem Gestrüpp zugewachsen. Mir fehlt da die Motivation, wie viele vor mir schiebe ich daneben auf der Weide mich und das Rad in Richtung Ostsee. Wollte mir für den Abend wieder ein Hotel nehmen, aber der POI im Garmin ist nicht mehr aktuell. Lt. den Nachbarn hat das Hotel in Osterhagen schon vor zwei Jahren den Betrieb eingestellt. Kehre auf den Track zurück und finde gegen 21:00 Uhr eine etwas herunter gekommene Schutzhütte vorm Harz direkt am Kolonnenweg, etwas östlich von Tettenborn. Ich habe ne Hängematte und keine Alternativen, also lasse ich mich vom Unrat nicht stören und bin bald im Schlafsack.

25.06.2021

Schon beim Aufstehen ist die Wolkenwand deutlich sichtbar, das wird heute ein nasser Tag. Egal, ich rolle in Richtung Ellrich, dort soll es nen Edeka geben. Vor Ellrich setzt der Regen ein, das wird also eine nasse Harz- und Brockenüberquerung. Im Bäckerbistro vom Edeka sitze ich recht lange, genieße Kaffee und belegte Brötchen. Interessant, wie ein voller Bauch und Kaffee die Motivation verändern können! Im Radio läuft der Wetterbericht, der gibt mir Hoffnung, da es nur einen halben Regentag geben wird.

Regen im Harz. Foto: Frank Seidel

Vor dem Wurmberg muss ich den Track verlassen, wegen Holzarbeiten ist der eine Abschnitt gesperrt. Ich hatte darauf gehofft, dass am Freitag Nachmittag schon Feierabend ist, aber deutlich sichtbare und hörbare Forstharvester belehren mich eines Besseren. Nach dem Wurmberg belehrt mich ein Wanderer, das ich den gerade genutzten Weg lt. niedersächsischem Wald- und Flurgesetz nicht hätte befahren dürfen und ich würde ja den ganzen Weg kaputt fahren. Einerseits habe ich dort keine Bremsspuren hinterlassen, andererseits denke ich an die „Spuren“ der Forstharvester wenige Kilometer vorher und gebe nur ein „Aha“ zurück. Lange Diskussionen lohnen hier eh nicht. In Richtung Brocken fahre ich mit gemischten Gefühlen, ich werde dort einen Großteil der Höhenmeter der Strecke absolviert haben und denke dann doch an die spezielle touristische Situation auf dem Brocken. Hoffe, daß der Brockenwirt noch auf hat und weiß schon vorher, daß mich dessen „Freundlichkeit“ nicht enttäuschen wird. Dank des Wetters ist der Brocken recht leer, dafür erfüllt der Brockenwirt alle „Erwartungen“. Für üppige 14 Euro gibt es ne Bratwurst mit Pommes und Cola aus der Theke mit einem Blick herausgereicht, daß man denkt: „Dann übergebe diese Monopolsituation doch an einen anderen….“

Auf dem Brocke. Foto: Frank Seidel

Frank ist auch auf dem Brocken, er hatte auch schon seine „spezielle Portion Freundlichkeit“ vom Brockenwirt bekommen. Wir fahren ab dem Brocken zusammen, auch wenn wir das erst bei einer Portion Nudeln einen Abend später „förmlich“ beschließen werden.

Nach dem Harz wechselt auch das Wetter, die Sonne scheint. Beim NP-Markt machen wir unserem „Landstreicher-Dasein“ alle Ehre: wir hängen die nassen Klamotten am Geländer direkt vor dem Mark in die Sonne, stellen die stinkenden Schuhe dazu und essen unsere Einkäufe gleich daneben. Überhaupt, dieses „Landstreicher-Dasein“ das werden wir in den folgenden Tagen noch öfter machen…Wir fahren noch ein Stück auf dem Track lang und finden dann eine Schutzhütte. Wie am Vortag heißt die „Brockenblick“, ist aber in einem deutlich besseren Zustand.

26.06.2021

Am Vormittag knallt die Sonne, wir kommen auf dem Plattenweg in den Feldern gut voran. Fühlt sich komisch an, GST fahren ohne Höhenmeter. Wir erreichen den Grenzübergang Marienborn und werden gleich am Eingang sehr unfreundlich von den Rädern gebeten. Wir lästern sofort, daß der Wachmann hier wohl schon früher gearbeitet hat… Dann haben wir ein paar Probleme, diesen Ort zu verlassen. Uns bleibt nichts weiter übrig, als die bepackten Räder über einen neuen Zaun zu heben, die Brennnesseln dahinter nehmen wir schon gar nicht mehr wahr. Ohne besondere Ereignisse rollen wir durch Sachsen-Anhalt. Ich habe mal wieder nen Platten. Wie bei allen Platten, bei denen Frank dabei war, hat er eine herrliche Art das zu kommentieren. Komplett ohne Schadenfreude und sachlich, wie Ingenieure nach meiner Vorstellung so sind: „Dichtmilch hätte das Loch abgedichtet“. In Oebisfelde schlagen wir uns den Bauch zum Abend voll, dann rollen wir noch ein paar Kilometer bis zu einem Vogelbeobachtungsturm im Drömling. Frank schnarcht auf der Beobachtungsplattform und ich spanne unten die Hängematte auf.

Franks Kram nach der Nacht auf dem Vogelbeobachtungsturm, Foto: Frank Seidel

27.06.2021

Wir brechen auf, die Gegend ist sehr strukturschwach. Die Platten vom Kolonnenweg werden hier seltener, die Bauern haben nach der Grenzöffnung die Äcker wieder schnell für sich nutzen wollen. Wir kommen erst am Endlager Gorleben vorbei und dann gleich danach an der Beluga von Greenpeace. Bei einem Edeka füllen wir wieder die Vorräte auf und radeln dann weiter Richtung Ostsee. Am Nachmittag sitzen wir auf dem Hof von der Radkultur Stark, Frank bekommt seinen heißgeliebten Kaffee und wir quatschen über die Situation im Grünen Band. Am Arendtsee nehmen wir erst ein Bad, dann gibt es Abendessen im Lokal vor Ort und noch ein Stück die Strecke lang ein Beobachtungsturm am Arendtsee. Der Turm ist wieder perfekt für eine Übernachtung, Frank oben auf der Plattform und ich unten in der Hängematte.

28.06.2021

Wir erreichen im Laufe des Tages die Elbe, die Gegend hier erinnert sehr an Brandenburg: Kiefernwälder mit sandigen Wegen. Auch die kosten Körner und wir sind ja ohnehin etwas ausgelaugt. In Hitzacker erreichen wir die Elbe, beim Eisessen sehe ich im Augenwinkel ein Schild: 18 Kilometer bis Bleckede. Dort ist die Elbfähre. Aber auf der GST darf man sich nicht täuschen lassen, das ist hier keine gemütliche Feierabendrunde. Der Scout von diesem Abschnitt hat noch ein paar Trails und Höhenmeter in den Elbbergen gefunden, wir brauchen bis Bleckede gefühlt drei Stunden. Boitzenburg und A24, wir machen heute ein paar Kilometer mehr. Wir hoffen auf dem Rasthof Gudow an der A24 das Hotel nutzen zu können, vielversprechend sehen wir die Leuchtreklame bei der Anfahrt. Vor Ort erfahren wir, dass das Hotel wegen Corona noch geschlossen ist und nutzen nur die Truckerdusche, um uns halbwegs zu säubern. Wir sind quasi die letzten Gäste auf dem Rasthof, hinter uns wird abgeschlossen. Aber es ist schon 21:30 Uhr, wir müssen uns jetzt um ein Nachtquartier kümmern. Nach einigem Herumirren fragen wir in Valluhn auf einem Bauernhof nach einem Quartier. Das klappt dann auch, Frank schlägt sein Zelt auf und ich hänge die Hängematte zwischen alten Traktoren auf. GST-Erlebnisse sind unbezahlbar!

Hinten auf dem Bauernhof. Foto: Frank Seidel

29.06.2021

Kurz nach 06:00 Uhr kommt der Mecklenburger Bauer mit zwei Kaffeebechern zu uns, wortkarg überreicht er uns seinen „Guten-Morgen-Gruß“…. In Zarrentin sitzen wir erstmal beim Bäcker, bevor es weiter geht. Der Track bietet heute nicht mehr so viele Höhenmeter, das wird dann aber durch viel „Gebüsch aller Art“ ausgeglichen. Im Naturschutzgebiet „Steinerne Rinne“ holt uns eine Gewitterwand ein, wir spannen ein Tarp auf und machen sogar ein Nickerchen auf unseren Isomatten darunter, bis der Regen irgendwann nachlässt. In Herrnburg nochmal Landstreicher-Dasein vorm Edeka, bevor wir die letzten Kilometer in Angriff nehmen. Drei Kilometer vor dem Ziel bricht bei mir eine Sattelstrebe. Bin froh, dass es erst dort passiert! Aber dann sind wir da und es fühlt sich unwirklich an. Schon da? Wir baden in der Ostsee, aber wir machen den Fehler, diesen Moment nicht so wirklich zu feiern. Im Nachhinein wird mir klar, das wir den Priwall viel zu schnell per Fähre und Zug verlassen und dann in Lübeck sich unsere Wege trennen…

Tarp ist eingepackt, kann weitergehen. Foto: Frank Seidel
Frank und ich am Priwall. Foto: Frank Seidel

Ich brauche hinterher noch ein paar Tage, um gedanklich „von der Platte“ runter zu kommen bzw. auch zu begreifen, welche besondere Strecke da hinter mir und allen anderen liegt. Ich bin dankbar für die Kameradschaft unterwegs! Ich danke Gunnar und seinen Scouts für die Arbeit, die in der Streckensuche und Organisation stecken. Ich danke den Leuten, die in den Vorjahren die GST angegangen sind und ihre Erfahrungen veröffentlicht haben, das hat mir extrem bei meiner Vorbereitung geholfen. Ich bin dankbar, dass ich ohne Verletzungen und große Defekte die Strecke absolvieren konnte, das war ja leider nicht für alle Starter so. Und ich danke meiner Familie für die Möglichkeit, so eine Tour zu machen!

4 Antworten auf „Grenzsteintrophy 2021

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  1. Danke! Interessant und spannend zu lesen. Klingt, als hättest du den perfekten Rhythmus gefunden… ach, eigentlich klingt es ganz einfach nach dem perfekten Abenteuer! Es freut mich, dass du offensichtlich eine tolle Zeit hattest 🙂

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    1. Finde im Nachhinein auch faszinierend, wie jede/r für sich sein Abenteuer auf der „virtuellen Leinwand“ des Tracks gestaltet hat. Die Schnellfahrer auf der einen Seite, die Touristen wie mich und dann die Geschichtensammler (der andere Christoph auf der Strecke), der sehr intensiv das Gespräch mit den Leuten an der Grenze gesucht hat.

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