mein erster 400er

Prolog: Im Sommer 2020 fallen wegen der Pandemie meine Verpflichtungen als Regattaorganisator im Segelverein aus. Ich versuche das freigewordene Wochenende um den 21.06. mit der kurzen Sommernacht sinnvoll zu nutzen und probiere mich an der 400er Strecke von den Berliner Randonneuren Richtung Mecklenburg-Vorpommern. Erwartet hatte ich eine entspannte Fahrt in den lauen Sommerabend… bekommen habe ich heftigen Gegenwind mit Nieselregen. Über lange Zeit hing die Geschwindigkeit bei 17-18 km/h. Das fuhr sich teilweise, als hätte ich hinten einen Anker am Rad und würde den über den Asphalt hinter mir her ziehen… habe in Höhe Prenzlau entnervt aufgegeben, bin noch ein Stück mit Rückenwind bis zum Bahnhof Angermünde gefahren…

Mit Eva bin ich unregelmäßig im Austausch, suche bei ihr Rat, weil ich ich an der Zeithürde bisher gescheitert bin. Mit den Daten von STRAVA und Veloviewer lässt sich das gut nachvollziehen, bisher habe bei etwa 13-14 Stunden auf dem Rad die Lust verloren… Die in 2021 absolvierte Grenzsteintrophy tut aber sehr viel für mein Radfahrerselbstvertrauen, falls es sowas gibt.

In 2022 verabreden wir uns lose, Eva bietet mir an auf der 400er Strecke mein moralischer Beistand zu sein bzw. mir im Zweifel in den Hintern zu treten… Dienstlich tut sich bei mir einiges, Eva kämpft mit der Gesundheit. Wider Erwarten findet sich eine Gelegenheit für die schon lange geplante Route. Die Königin der Langstrecke hat auf Komoot alles vorgeplant, die möglichen Verpflegungspunkte und Schlaftstellen gescheckt, es geht nach Görlitz. Für mich ist da ein Stück Kindheit mit einer liebevollen Oma, Pflaumenstreuselkuchen, Nutellasemmeln in der DDR und Kohleheizung…

Nach Görlitz

Der große Tag ist Anfang August 2022 gekommen, ich habe mich bei den drei Damen zu Hause abgemeldet, heute gibt es keine Bäckerrunde, es geht zum Startpunkt nach Erkner.

Sonnenaufgang bei Altlandsberg

Mit leichtem Rückenwind rollen wir Richtung Südosten, die Kilometer sammeln sich sehr leicht, zwischendurch gibt es auch noch Material für den Nachbarblog.

Mit Eva Richtung Görlitz

Hinter Spremberg

Unterwegs ist die Landflucht deutlich spürbar und sichtbar. Es gibt viel Landschaft, leere Straßen mit sehr gutem Belag. In Boxberg am lokalen LIDL wirkt die ansässige Jugend ein wenig verzweifelt, die Jungs machen sich mit einer Karaoke-Box aus dem VW-Golf-Kofferraum den Nachmittag schön. Mehr muss man nicht zum Jugendkulturangebot der Region wissen. Der Neubaublock gleich nebenan bietet viele leerstehende Wohnungen, was für ein Kontrast zu der Situation in Berlin und dem Speckgürtel. Die Prognose sieht nicht viel besser aus… Dank Roadbook gibt es für Langstreckenreisende doch noch regelmäßige Möglichkeiten zum Kalorienbunkern. Wir quatschen viel, haben dabei teilweise lustige Themensprünge 😉

Halbzeit!

Wir machen Pause beim „Restaurant zur goldenen Möwe“, berechenbares Fastfood als Stärkung für den Rückweg. Auf der Toilette von McD habe ich dann noch einen speziellen Moment. Wollte eigentlich mit Feuchttüchern und Radlersalbe den Hintern bei Laune halten. Aber in meiner lausigen Vorbereitung sind Desinfektionstücher in der Tasche gelandet. Einmal tief durchatmen bitte!

Wir kurbeln zum Friedhof, erstaunlich schnell finde ich das Grab von meiner Oma. Bevor der Kloß im Hals zu groß wird dränge ich dann zur Weiterfahrt…

Hi Feldoma!

In Rothenburg/Oberlausitz landen wir erst auf einem riesigen Volksfest. Ich habe „nach“ Corona immer noch Schwierigkeiten solche Menschenmengen als völlig normal wahrzunehmen. Kann aber gleichzeitig nachvollziehen, das die Leute wieder feiern wollen und das Leben wie vorher genießen möchten, was auch immer das für einzelne Person bedeuten mag.

Eva in der Abendsonne, rechts die Neiße

Umleitungen werden außer Acht gelassen.

Dann folgt in der Stadt eine Baustelle, die wir beide nicht so wirklich ernst nehmen. Keine Lust auf eine Umleitung, wir schieben die Räder kurzerhand durch den Sand und durch die Baustellenabsperrungen… In Weißwasser und in Cottbus nutzen wir die Versorgungsmöglichkeiten von 24h-Tankstellen. In Cottbus habe ich meine persönliche Grenze von 14 Stunden überschritten, aber irgendwie gehe ich mit dieser Information sehr gleichmütig um, ohne den Hinweis von Eva hätte ich das schlicht verpasst. Die Dunkelheit hat uns umfangen, ich verliere das grobe Gefühl, wo wir uns ungefähr befinden. Die Landstraßen wirken gleichförmig, es gibt keine Landmarken, die Orte sind mir nicht geläufig… Das Navi weisst mich piepsend sehr oft darauf hin, das ich doch gerade aus weiter fahren soll, was aber in den jeweiligen Situationen kaum anders Sinn macht. In Straupnitz gibt es für mich eine neue Erfahrung: eine Mütze Schlaf im „EC-Hotel“, ein Nickerchen im Vorraum einer Sparkassen-Filiale. Wir beziehen das spezielle Hotelzimmer irgendwann Sonntags um 02:00 Uhr und machen uns nach einer Stunde wieder auf den Weg.

Der Biwaksack macht es viel gemütlicher 😉 Foto von Eva gemacht.

Im EC-Hotel war es sehr warm, die Nacht auf der Landstraße ist der totale Gegensatz, wir ziehen alle verfügbaren Sachen an. Meine Begleiterin schwärmt von Ihrer Gore-Shakedry-Jacke, um die ich bisher einen Bogen gemacht habe (€€€€€€). Tage später findet sich dann eine solche Jacke im virtuellen Warenkorb.

Morgendämmerung

Die letzten Nachtstunden verbringen wir in so einer Art Trödelmodus. Mal nen Riegel essen, mal ne Jacke an oder ausziehen. Toilettengänge… das ist für uns beide ok, wir liegen gut im Rahmen der üblichen Brevetzeiten und müssen hier eh niemandem etwas beweisen. In Wendisch-Rietz hat der Bäcker noch nicht offen, wir müssen uns mit dem Duft der frischen Backwaren begnügen. Aber in Storkow hat ein Bäcker dann offen und wir machen 20 Kilometer vorm Ziel noch eine wunderbare Pause mit Kaffee und Kuchen.

In Erkner kommen uns die morgendlichen Rennradler in „kurzkurz“ entgegen, während wir noch eingemummelt die letzten Kilometer bis zum Bahnhof rollen. Wir sind dann wohl doch ein wenig ausgelaugt, die Augustsonne braucht bei uns an diesem Sonntagmorgen ein wenig länger. Ohne besondere Vorkommnisse habe ich die 400er Marke geknackt und mache mir Gedanken, wie sich 600 Kilometer am Stück anfühlen könnten….alles graue Theorie, ich freue mich auf meine stille Art über die geschafften 400 Kilometer. Nach dem Abschied trödele ich nach Hause, es gibt unterwegs noch Görlitzer Brötchen und bei zwei Bäckern auf 18 Kilometern Heimweg finde ich noch zusätzlich was zum Futtern… DICKES DANKESCHÖN an Eva für die moralische Unterstützung zur 400!

Ein Kommentar zu „mein erster 400er

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